Die experimentelle Herausforderung

Die schwache Wechselwirkung manifestiert sich - wie der Name schon sagt - in winzigen Wechselwirkungsraten von Neutrinos mit Materie. Ein oft zitiertes Beispiel ist die Tatsache, dass unsere Sonne viele Milliarden von Neutrinos pro Sekunde und cm² Richtung Erde emittiert. Nur ein Bruchteil von Ihnen wechselwirkt mit der Erdkruste und dem Erdkern. Der Rest kommt berührungslos davon, ohne je mit der Erde interagiert zu haben. Die Neutrinoeigenschaften der schwachen Wechselwirkung bieten Experimentatoren eine ziemliche Herausforderung. Bereits in den frühen Anfängen von Neutrino-Experimenten war den Physikern bewusst, dass sie ungewöhnlich große Detektoren und starke Neutrinoquellen benötigen, um diese zu beobachten. Erste Versuche wurden sogar bei Atombombenexplosionen unternommen, doch der wirkliche Durchbruch gelang Cowan und Reines 1956 durch den Einsatz von Neutrinos aus einem Kernreaktor. Dieser erste Neutrinodetektor hatte eine aktive Masse von 200 kg.

Andererseits implizieren die winzigen Wechselwirkungswahrscheinlichkeiten, dass Neutrinos nahezu ungehindert Energie aus Regionen mit sehr hoher Materiedichte abführen können. Dies ist der Grund, warum Neutrinos eine Schlüsselrolle bei Sternfusionen, Supernova-Prozessen und das Wichtigste - bei der Materiebildung nach dem Urknall - spielen. Über Jahrzehnte hat die Forschungsgemeinschaft erfolgreich Anstrengungen unternommen, um solche Neutrinos, beispielsweise von der Sonne, oder Neutrinos aus einem Sternentod zu entdecken um daraus neue Erkenntnisse zu ziehen.


Detektoren, die Neutrinos direkt erfassen, haben Massen von mehreren Kilotonnen, und es sind sogar Megatonnen-Detektoren in Planung, im Bau oder Betrieb. Der derzeit größte Neutrino-Detektor ist das IceCube-Neutrino-Observatorium in der Nähe des Südpols. Es ist ein Detektor, der in einer Tiefe von rund 1400 m und einem Gesamtvolumen von ca. 1 km³ im arktischen Eis eingebettet ist. IceCube sucht nach extrem energiereichen Neutrinos, die aus Supernova-Explosionen, Gammastrahlenblitzen, 
Schwarzen Löchern und anderen extragalaktischen Ereignissen stammen. Es ist die "schwache Wechselwirkung" der Neutrinos, welche hier ihrem Name alle Ehre macht, damit die Neutrinos ihre Reise von ihrem Ursprung zur Erde über astronomische Entfernungen ungehindert bestreiten können. Dies macht sie ungemein Interessant, denn sie zeigen - im Gegensatz zu geladenen Teilchen, die durch kosmische Magnetfelder abgelenkt und isotropiert werden - auf ihre Quelle zurück, wie ein Pfeil. Dies ist eine große Hilfe zur Erstellung von kosmischen Karten. Allerdings muss man diesen Vorteil mit sehr großen 
Detektoren bezahlen. Es gibt nur wenige Ausnahmen wie Betazerfallsexperimente, bei denen man direkt auf Neutrinoeigenschaften schließen kann, ohne die Neutrinos selbst in einem Detektor zu beobachten (hier wird nämlich das Betateilchen, das Elektron, sehr präzise studiert und es können Rückschlüsse auf Neutrinoeigenschaften wie Energie und Impuls gezogen werden). Trotzdem bleiben die experimentellen Anforderungen hoch, da solche Experimente nach 
sehr subtilen Effekten suchen. Zum Beispiel sucht das KATRIN-Experiment nach winzigen spektralen Verzerrungen des Energiespektrums von Beta-Elektronen, die gleichzeitig mit Neutrinos in einem Beta-Zerfall erzeugt werden, in einer Region, in der nur 10-11 aller Zerfälle auftreten. Diese präzise Vermessung erlaubt Rückschlüsse über die absolute Masse der erzeugten Neutrinos. Oder das GERDA-Experiment, bei dem nach Zerfallsmodi von 76Ge mit einer Lebensdauer von bis zu 1026 Jahren gesucht wird.

Die Neutrinophysik hat sich langsam aber stetig von einer Ad-hoc- „Erfindung“ zur Rettung der Energie- und Impulserhaltung bei radioaktiven Beta-Zerfällen im Jahr 1930 von Wolfgang Pauli, zu einem multidisziplinären Forschungsfeld entwickelt. Während Physiker lange Zeit dachten, dass solche Neutrinos niemals entdeckt werden können, gibt es heutzutage eine globale Forschungsgemeinschaft, die auf allen Kontinenten Neutrinos einsetzt und erforscht, um manche Geheimnisse der Natur zu lüften. Und es ist die Masse der Neutrinos, nach der sie besonders suchen.